Die Gruppenausstellung „FIGUR — GRUND 2“ vereint vier aktuelle Positionen der figurativen Ölmalerei: Melanie Ebenhoch, Cosima zu Knyphausen, Marlen Letetzki und Katharina Schilling. In der je spezifischen Verhandlung des Verhältnisses zwischen Figur und Grund untersuchen ihre Werke dominierende analoge wie digitale Blickregime und skulpturales Handeln. Sie erschaffen optische Illusionen und neue Symbolismen. Sie befragen die Mittelder Repräsentation und deren kulturhistorische oder gesellschaftspolitische Prägung. Kurz: Sie bringen Figurationen, die sich in gegenwärtigen Bilderfluten verfestigen, zum Tanzen.

Die vier Malerinnen sind zwischen 1984 und 1990 geboren und wurden an Kunsthochschulen im deutschsprachigen Raum ausgebildet. Von einer Generation zu sprechen, ist vielleicht zu hoch gegriffen, doch interessieren sich alle vier für die Grenzen der Gattung, der Materialien und des Formenvokabulars. Dabei bewegen sie sich im Rahmen des mobilen, an der Wand hängenden Bildes und damit im Möglichkeitsraum, den diese Begrenzung öffnet: Wahlund Bearbeitung des Bildträgers, Malakt, Umgang mit der Ölfarbe, Herausarbeiten des Verhältnisses von Figur und Grund…

Jede der vier Malerinnen hat im Laufe der letzten Jahre eine ganz eigene Bildsprache und einspezifisches künstlerisches Konzept entwickelt.

Im Werk von Melanie Ebenhoch (*1985 in Feldkirch, Österreich, lebt in Wien) bildet die Populärkultur der USA einen steten Anlass der Auseinandersetzung. So verweist die Künstlerin mit ihren beiden in der Ausstellung präsentierten Werken „After the Poppy Field (Wizard of Oz)“ und „After the Hallway (Secret Beyond the Door)“ auf zwei US-amerikanische Filmproduktionen: „The Wizard of Oz“, dt. „Der Zauberer von Oz“ (1939) von Victor Fleming und „Secret Beyond the Door“, dt. „Geheimnis hinter der Tür“ (1948) von Fritz Lang. In beiden Filmen treibt die weibliche Hauptdarstellerin (Dorothy bzw. Celia), obgleich durchaus objek-tiviert dargestellt, als eigenständige Figur die Narration des Films voran. Ebenhoch jedoch zeigt nicht diese Figur, sondern allein den Unheil verkündenden, klaustrophobisch wirkenden Raum, der sie im Film umgibt. Die mit Ölfarbe minutiös bemalten Tondi sind aus Epoxydharz gegossen und besitzen eine fast skulpturale Präsenz. In ihrer Mitte sind sie linsenartig erhaben, sodass dieser Teil des gemalten Bildes – die Tür am Ende des Flurs, ein Detail der fast schon psychedelisch anmutenden Mohnblumen – nach Außen gestülpt wird. Richtet sichder Blick des Bildes zurück auf die Betrachterin?

Die malerischen Werke von Cosima zu Knyphausen (*1988 in Houston, Texas, aufgewachsen in Chile, lebt in Berlin) entstehen in vielen Schichten und formen sich – zum Teil über einen langen Zeitraum hinweg – aus dem textilen Bildgrund heraus, wobei einzelne Themen und Motive stets wiederkehren. Dazu zählen einerseits scheinbar alltägliche, private Szenen aus dem Alltag der Künstlerin oder ihrem Atelier, die in der spezifischen Komposition jedoch einen ikonischen und allgemeingültigen Eindruck evozieren. Andererseits sind das Auseinandersetzungen mit Christine de Pizan, Autorin der frühen feministischen Schrift „Le Livre de la Cité des Dames“, dt. „Das Buch von der Stadt der Frauen“ (um 1405) oder mit den Werken von Malerinnen wie Artemisia Gentileschi, Mary Cassatt, Berthe Morisot oder Lotte Laserstein, in denen die Darstellung von weiblichen Figuren eine hervorgehobene Rolle spielt. In zu Knyphausens oft kleinformatigen Werken verbinden sich historische Referenzen und gegenwärtige Diskurse zu einem neuen kunst- und kulturhistorischen Kanon und zu einer alternativen Geschichte weiblicher Intimität.

Marlen Letetzki (*1990 in Weimar, lebt in Berlin) lässt dem Malakt einen geradezu skulpturalen Prozess vorangehen: Mithilfe einer 3D Software erfindet und modelliert sie virtuell-räumlich jene Bildobjekte, die später ihren Weg auf den physischen Bildträger finden. Dabei variiert sie zwischen zwei gegensätzlichen Materialitäten. Zum einen arbeitet die Künstlerin auf starren, glatten Aluminiumplatten in verschiedenen Größen mit Acryl und dicker Ölfarbe, diesich lange bearbeiten lässt; zum anderen verwendet sie Öl und fließende Aquarellfarben auf kleinformatigem, saugfähigem Papier. Die von ihr digital geschaffenen und analog reproduzierten Figuren changieren zwischen fiktiver Neuschöpfung und Wiedererkennbarkeit, zwischen displayartiger Oberfläche und unendlicher Bildtiefe. Zuweilen führen Letetzkis Werke in die Irre: Immer wieder zeigt sie erhabene, scheinbar fett aufgetragene Pinselstriche, die sich jedoch als minutiös mit dem Pinsel eingefärbte Modelliermasse entpuppen. Stets fordern sie die Wahrnehmung heraus: Bis wann ist etwas sichtbar, bis zu welchem Moment bleibt eine Form, ein Gegenstand, ein Pinselstrich erkennbar, bevor er in der Abstraktion und im Farbverlauf aufgeht?

Die großformatigen Gemälde von Katharina Schilling (*1984 in Köln, lebt in Wien) vereinen zwei gegenläufige Malweisen – abstrakte trifft auf figurative Formensprache. In einem ergebnisoffenen, den Zufall einbindenden Prozess wird der ungrundierte Leinwandstoff von der Künstlerin mit in Wasser angemischten Pigmenten bearbeitet, getränkt oder gefaltet.

Ausgewählte Ausschnitte des getrockneten Textils vernäht Schilling zu einem tiefen und ei-genständigen Bildgrund, dem sie später, realistisch gemalt, assoziationsreiche, symbolisch konnotierte Objekte hinzufügt, etwa schattenlos schwebende Reitersporen, ein Pfirsich-Reigen, eine Spirale aus Eiern. Beide Malweisen können anti-subjektiv genannt werden, verzichten sie doch auf die subjektive Geste des Pinselstrichs. In ihren kleinformatigen Gemälden übersetzt Schilling Fragmente gotischer Buchmalereien in neue Bildfindungen; gesichtslos schreitende, in weite Gewänder gehüllte Figuren spiegeln sich in einer Wasseroberfläche, lösen sich teilweise auf. In der Ausstellung sind die unterschiedlichen Malweisen der Künstlerin einander gegenübergestellt: Dabei entstehen Öffnungen, in denen verschiedenförmige Konzepte und Einheiten miteinander in Beziehungen produktiver Spannung treten.

Gemeinsam ist den vier Künstlerinnen neben der herausstechenden technischen Finesse die heitere, feministische Reflexion gegenwärtiger und historischer Bildwelten mit malerischen Mitteln. Ihre Werke verdeutlichen, dass sich jede Figuration stets „die Frage nach der politischen Valenz der betreffenden ‚Figur‘ im Verhältnis zu ihrem ‚Grund‘ (ob Umwelt, Ort, Raum oder Gemeinschaft)“ stellt.¹ In diesem Sinne zeigen sie Körper als fragile Entitäten, die verschiedenen Einflüssen unterworfen sind und von diesen geprägt werden. Ebenhoch, zu Knyphausen, Letetzki und Schilling lehnen jede egomane Form der malerischen Geste ab und erweitern auf subtile Weise und mit produktiver analytischer Distanz die Möglichkeiten dessen, was „Ausdruck“ und „Subjektivität“ in der zeitgenössischen Malerei sein können.

In Kooperation mit fabrik moves und dem überregionalen Kooperations- und Netzwerkprojekt DiR – Dance in Residence Brandenburg finden während der Laufzeit der Ausstellung eineTanzperformance von Eva Burghardt, Elma Riza & Susanne Soldan und eine performative Installation von Nir de Volff & Moran Sanderovich sowie Potsdamer*innen im KunstHaus Potsdam statt, die das Verhältnis von Körper und Raum untersuchen und auf die Werke in der Ausstellung Bezug nehmen. Die gemalten, auf dem Bildträger sichtbaren Bildräume und ihre Figuren treten zu den Körpern im Ausstellungsraum in ein Verhältnis. Mit der Gegenüberstellung von Malerei und Tanz wird der Versuch unternommen, die gleichermaßen trennende und verbindende Grenze zwischen Bild und Raum aufzulösen und das gemalte Bild mit dem umgebenden Raum zu verbinden.

Mit der Ausstellung „FIGUR — GRUND 2“ findet sowohl das zweiteilige Ausstellungsprojekt „FIGUR — GRUND“ als auch das diesjährige gleichnamige Jahresprogramm des Kunstvereins KunstHaus Potsdam seinen Abschluss. Aus diesem Anlass erscheint zur Ausstellung ein reich bebilderter Katalog mit einem Gespräch zwischen den vier Malerinnen und der Kuratorin der Ausstellung.


1 Amelia Jones: Figuration und der (lebendige) Körper; in: Texte zur Kunst 122 (2021), S. 79.


Text / Kuratorin: Rahel Schrohe