Jenny Alten, Bianca Baalhorn, Udo Koloska, Anna Moskalets, Artem Volokitin und Tetiana Malinovska

Der Kunstverein KunstHaus Potsdam ist seit knapp einem Jahr mit den Künstlerinnen und Künstlern über eine gemeinsame Ausstellung im Gespräch. Der Potsdamer Verein artifact e.V. hat im März 2022 vier Künstlerinnen und Künstler nach ihrer Flucht aus der Ukraine aufgenommen. Seitdem ist ein intensiver Dialog entstanden, der sich mit den Themen Krieg, künstlerische Unterschiede und Gemeinsamkeiten aber auch den sehr unterschiedlichen Alltagserfahrungen auseinandersetzt.

Der Ausstellungstitel „Lacuna“ bezieht sich auf die Lücken, die entstehen, wenn ein Text von einer Sprache in eine andere übertragen wird. Worte der Ausgangssprache sind in der Zielsprache nicht oder in der Bedeutung nicht vorhanden. Sprache ist ein Abbild von kultureller Realität und drückt diese aus. Sie funktioniert in einem konkreten Zusammenhang, in dem es nicht nur um Bedeutungen geht, sondern auch Wertungen und Überzeugungen zum Ausdruck gebracht werden. In der interkulturellen Kommunikation können Lücken als Marker dienen. Diese Marker sind ein Ausgangspunkt für die Gruppenausstellung.

Die Zusammenschau der Blickwinkel von drei deutschen und drei ukrainischen Positionen lässt die Komplexität erahnen, wenn die Beteiligten den Fragestellungen nach einer möglichen Verständigung in einer auseinanderdriftenden Welt gerecht werden wollen. Der Anspruch der Ausstellung ist es, sowohl die verbindenden als auch die trennenden Elemente zwischen den Realitäten der deutschen und der ukrainischen Künstlerinnen und Künstlern offen zu legen. Die Bedeutung liegt dabei gerade in den unterschiedlichen Perspektiven des Künstlerischen, welche sich in einer festgefahrenen Kriegssituation äußern.

Das Projekt gibt einen unmittelbaren Einblick in den künstlerischen Diskurs, der seit der Flucht der Künstlerinnen und Künstler aus der Ukraine nach Bombenangriffen auf die Heimatstadt Charkiv nicht nur deren Leben, sondern auch das der beherbergenden Künstlerinnen und Künstler in Potsdam verändert hat. Jenseits des mit Worten Fassbaren forschen die Künstlerinnen und Künstler zum Einbruch des Chaos, zur Wirkmacht des Materiellen, zu der Realität, in der Bomben Häuser zerstören. Sie finden Wege der Kooperation und der Transformation, die auf die Besuchenden überspringen können. Mit den Formaten Malerei, Installation und Klangkunst nähern wir uns traumatischen Leerstellen in der Wahrnehmung an.

Die Verbindungen zwischen den Werken werden durch ein gegenseitiges Ineinandergreifen der einzelnen Positionen im Rahmen des kuratorischen Konzepts konkret und sinnlich erlebbar.

Was ist zu sehen?

In der Gemäldeserie „Das Kopftuch der Großmutter“ von Anna Moskalets sind die Gesichter und Körper unter großen Tüchern verborgen. Die verstörend gesichtslosen Porträts spielen dabei mit dem männlichen Teil des weiblichen Selbst. In der Ukraine ist das Kopftuch ein Symbol für tiefe Weiblichkeit. Das viereckige Stück Stoff wurde bei der Geburt eines Kindes oder als Talisman für geliebte Menschen verwendet. Es steht für die Untrennbarkeit von Leben und Tod. Bei der Erstellung der Bilder verwendet die Künstlerin echte Schals ihrer Großmutter.

Artem Volokitin und Tetiana Malinovska stellen das Projekt „Chaos und Eidos“ vor. Dieses Projekt erforscht Transformation und Durchdringung. Die Autoren zeigen Fragmente ihrer Werke, die bereits vorhandene Erfahrungen anderer neu interpretieren. Die Werke interagieren, ragen aus der Zweidimensionalität eines Bildes tief in einen Raum hinein, als würden sie ihn zerreißen.

Das Projekt besteht aus zwei Linien. Volokitin präsentiert eine diatonische Brechung einer malerischen Ebene, die das Bild spaltet und den Betrachter einlädt, die Dynamik des Strahls zu verfolgen. Malinovskas Collage enthält Assemblageteile und Videofragmente aus einem Nachrichtensender über das in die Luft gesprengte Haus. Sie arbeitet mit der Erinnerung, indem sie in die Assemblage Collageelemente einbezieht, die Teile der Geschichte und Symbole sind. Ihre Arbeit ist ein starker Auslöser, der hilft, eine aggressive Realität zu überleben und einen zwingt, in die innere Arbeit einzutauchen.

„Drone“, eine Installation von Udo Koloska, besteht aus Röhrenventilatoren und Lautsprechern. Sie bilden Rückkopplungen und klangliche Verformungen der Geräusche. Ausgangspunkt ist dabei eine Tonaufnahme im Potsdamer Garten des Künstlers vom 24.2.2022.

Bianca Baalhorns Installation wird aus der Performance zur Eröffnung der Ausstellung entstehen. An einem gedeckten Tisch platzieren sich vier ältere Damen zu Kaffee und Torte und unterhalten sich über ihre Kindheit, ungestört vom Geschehen der Ausstellungseröffnung.  Unter dem Tisch befindet sich eine aus Ton geformte schwarze Bombenkapsel, kaum wahrnehmbar. Nach einer Weile bricht die Kaffeegesellschaft unvermittelt auf und hinterlässt ihre Schuhe unter dem Tisch. Die verbleibende Szene bleibt wie eingefroren von diesem Zeitpunkt als skulpturales Werk präsent.

Die Installation von Jenny Alten zeigt weiche, halbtransparente Stoffkörper, die übereinander gestapelt im Ausstellungsraum sich mit dem Verblassen der Taten in der Ukraine auseinandersetzen.  Jenny Alten wirf auch die Frage auf, ob es Bezüge der Gräueltaten der Deutschen im 2. Weltkrieg zu den Vorkommnissen von heute gibt.

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