Die „Schwarze Katze“ duckt sich unter dem Stacheldraht, der den unteren Bildraum in Streifen zerteilt. Sie ist bereit zum Sprung, dreht sich noch einmal um, mit blauglühenden Augen.

Ihr schwarzer Leib ist mager, geschunden, blutig die Wirbelsäule, die Rippen. Sie erscheint ins Bildgeviert gesperrt, bereit, den Rahmen zu sprengen, vom grauen Grund zum giftig leuchtenden Gelb. Ulla Walter malt sie 1988 als Ausdruck und Vorahnung einer Zeitenwende.

Heute gehört das Werk zur Sammlung des Potsdam Museums.

Ein anderes Bild: Der menschliche Leib, wie in einem Kokon in sich zusammengezogen, fast eingeschnürt von den körperumhüllenden Pinselstrichen. Mann? Frau? Geschlechtslos zieht sich der Mensch in sich zurück, schwebt dunkelrot pulsierend im kalten Hall der anstürmenden Wellen eines digitalen Universums. Die Augen, kaum erkennbar, der Spiegel der Seele, nach innen gerichtet. Buchstaben schwirren fragmentarisch durch den Bildraum, ein Strudel der Zeichen, Fülle und Leere zugleich. Sie erreichen den Menschen nicht. „Black Mirror“ nennt die Künstlerin dieses Bild, 2018 mit Beton und Öl auf Leinwand gemalt.

Ulla Walter entfaltet in ihrer Ausstellung wie ein „Zeitenspiegel“ zwei Welten, die ihr Leben mittig in zwei Hälften geteilt hat. Die Spiegelachse ist der Mauerfall. Als Künstlerin transformiert sie ihr Leben in Bilder, in Skulpturen, Objekte, die jetzt hier frei und transparent im Raum schweben. Sie begreift den Ausstellungsraum wie einen Rahmen für die einzelnen Arbeiten, deren Gesamtfülle uns teilhaben lässt an der Expressivität künstlerischen Wirkens in der DDR und als Gegensatz, ihres Werkes danach, mit einer zeitlichen Lücke des Umbruchs, die offen bleibt. Sie bezeichnet diesen Zwischenraum so: Es ist die bewusste Konzentration auf die Zeit bis zur „friedlichen Revolution“, die wir Künstler mit vorbereitet haben – und die Zeit nach der „digitalen Revolution“, die uns alle betrifft – und wo die tatsächliche Zukunft eher noch offen ist….

Die Arbeiten, die ohne äußeren Auftrag entstanden, sind gleichsam Spiegel durchlebter konkret umrissener Zeiten. Wild, wuchtig, mit dem unbeirrbaren Ausdruck einer vollkommen autonomen Bildsprache, fühlten sich viele Künstlerinnen und Künstler vor 1990 in einer Gemeinschaft verbunden, die ein klares Aufbegehren zeigten, gegen die restriktiven Strukturen eines redundanten Staatsapparates. Es gab diesen „DDR-Expressionismus“, wie Ulla Walter ihn nennt:

Mit Farben und Formen Bilder aus dem intuitiven Empfinden entwickeln, Standpunkte formen, Gruppierungen bilden. Oft standen Experiment und gesteuerter Zufall im Mittelpunkt. Es war ein eigenständiges Arbeiten, das Aufträge kaum beeinflussen konnten. Unsere Befindlichkeiten schickten wir als Signale nach außen. Nun ist die DDR weg! Die Signale sind geblieben.

Nun, auf der anderen Seite der Spiegelachse, steht die Frage nach den neuen Bildformeln. Zwei Kategorien stehen zur Disposition: Einerseits die Autonome Kunst, die nach Immanuel Kant und Friedrich Schiller mit dem Wahrheitsanspruch als die „eigentliche“ Kunst überhaupt zurückzuführen ist und andererseits die Postautonome Kunst, die der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich in seinen Büchern beschreibt.

Bei aller Theorie bleibt die Frage nach der Qualität. Qualität, die sich tatsächlich auf Oberflächen abbildet. Es geht um das, was im wahrsten Sine des Wortes begreifbar ist, wenn man das Sehen als blicktastenden Sinn versteht. Die guten Effekte der postautonomen Kunst, die glatten medialen Oberflächen, an denen Auge und Hand wie auf einem polierten Spiegel abrutschen, können bestenfalls parallel bestehen. Die Tür zu einem unendlichen Raum, der künstlichen Intelligenz, wurde aufgestoßen. Nun gilt es, sich zu verankern, um sich darin frei bewegen zu können. Beides nebeneinander hat Berechtigung, als ein sich gegenseitig beflügelndes Vorwärtstasten in uns noch unbekannte Gefilde. Man muss auf das Original zurückkommen, zwischen Effekt und Sinnlichkeit gibt das Haptische Orientierung und ermöglicht erst Merkfähigkeit.

Die Aneignung dieser Ausstellung geschieht auf unterschiedlichen Wegen durch den Raum als Rahmen. Die Aufenthaltsdauer ist nur ein Kriterium, um den von der medialen Bilderflut verblitzten Augen Ruhe zu gönnen.

Schlussendlich glückt die Symbiose zwischen autonom und postdigital: die Augen können bei den „Toten“ verweilen. Das Konvolut der Zeichnungen wird als Diashow auf dem Monitor in der zweiten Ebene, oben, im intimeren Raum des KunstHauses gezeigt. Tote sind Hüllen, sagt die Künstlerin, und wie lebendig sind wir!

(Text: Ellen Kobe)

Ulla Walter wurde 1955 in Meiningen geboren und studierte zunächst Malerei an der Hochschule für Bildende Künste. 1978 wechselte sie an die Hochschule für Grafik und Baukunst in Leipzig und wurde Meisterschülerin von Bernhard Heisig.

1983 zog sie nach Schöneiche und baute einen Tanzsaal zu einem Atelier um, in dem sie heute noch wohnt und arbeitet. 1986 war sie Gründungsmitglied der Künstlergruppe „Instabil“. Nach 1990 war sie Mitgründerin einer Kunstschule, für die sie vor allem Kunstaktionen im Industriegebiet Rüdersdorf konzipierte.

Sie war an zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen beteiligt, so am internationalen Kunstprojekt GOETZEN in Frankfurt (Oder) und Slubice, wo sie für ihre Lichtinstallationen den Brandenburgischen Kunstpreis erhielt, und des Kunstforums der Berliner Volksbank.

Sie war beteiligt an den Ausstellungen „Die wilden 80er Jahre in der deutsch-deutschen Malerei“ im Potsdam-Museum, das auch ihr Bild „Schwarze Katze“ kaufte, und „Point of no return. Wende und Umbruch in der ostdeutschen Kunst“ im Museum der bildenden Kunst in Leipzig. 2019 veröffentlichte sie das Buch „Die Kunst der Lust“.

Einladung ↗
Pressemitteilung ↗

Artikel PNN vom 3. Oktober ↗

Video zur Ausstellung von Richard Raabensaat ↗